{Rezension} Dann zeige ich es euch eben auf dem Platz
Wie ich meinen Traum lebe

Dann zeige ich es euch eben auf dem Platz
Wie ich meinen Traum lebe
von Alexandra Popp
mit Mara Pfeiffer

Droemer TB
Überarbeitete und erweiterte Taschenbuchausgabe
Biografie
336 Seiten
ISBN: 978-3-426-56202-4
Ersterscheinung: 01.07.2025

Inhalt:
Spätestens seit der Europameisterschaft 2022 kennt nun jeder die Ausnahmestürmerin und Kapitänin unserer Fußballnationalmannschaft. Schon seit vielen Jahren spielt Alexandra „Poppi“ Popp beim VfL Wolfsburg und hat mit den Wölfinnen jede Trophäe im Clubfußball gewonnen. In dieser Autobiografie erzählt sie unverblümt die Geschichte von einem kleinen Mädchen, das in einer Jungsmannschaft begonnen hat, Fußball zu spielen, bis hin zu einer der erfolgreichsten Spielerinnen, die sogar Olympia-Gold errungen hat. 

Meinung:
In ihrer Autobiografie erzählt uns Alexandra Popp, wie sie ihren Traum vom Fußballspielen verfolgt hat. Sie berichtet von ihrer frühen Kindheit, ihren Anfängen bei den Lehrgängen der Juniorinnen-Nationalmannschaften und schließlich von ihren ersten Schritten als Profi. Ganz offen und ehrlich teilt Poppi ihre Erfahrungen zuerst in einer Jungsmannschaft und später in Mädchenmannschaften oder auch ihre Gedanken über die Herausforderungen, die sie auf ihrem Weg zum Erfolg und auch währenddessen gemeistert hat, wie zum Beispiel ihre Ausbildung zur Tierpflegerin neben ihrer Profikarriere. Was mir sehr gut gefallen hat, waren die lustigen Anekdoten aus ihrem Privatleben und mit Teamkolleginnen, dabei sind mir beispielsweise einige Erzählungen aus dem Olympia-Dorf 2016 in Brasilien im Kopf geblieben. Man kann Alexandra Popp praktisch auf ihrem Weg zum Profi begleiten und bekommt alles hautnah mit. Sie berichtet über Erfolge sowie Rückschläge, sowohl mit ihren Teams als auch privat. Man lernt sie auch noch von einer anderen Seite kennen, denn Poppi ist auch eine große Tierliebhaberin. Karrieretechnisch gesehen kam in dem Buch ein guter Mix aus Verein und Nationalmannschaft vor, auch wenn ich mir teilweise ausführlichere Erzählungen gewünscht hätte. Als Kapitänin der Frauennationalmannschaft ist Poppi für viele fußballspielende Mädchen ein Vorbild. Auch für mich.

Fazit:
„Dann zeige ich es euch eben auf dem Platz – Wie ich meinen Traum lebe“ von Alexandra Popp mit Mara Pfeiffer ist eine sehr interessante Autobiografie, die einen Einblick in das Leben einer meiner absoluten Lieblingsspielerinnen gibt. Die Geschichte von Poppi ist sehr inspirierend und motivierend und ihre ehrlichen Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt machen das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis. Ich vergebe 4 von 5 Sternchen.

{Rezension} Der Sommer, der nur uns gehörte

Der Sommer, der nur uns gehörte
(Bd. 3 der „The Summer I Turned Pretty“-Trilogie)
von Jenny Han

dtv
(Reihe Hanser)
Taschenbuch
Jugendbuch
336 Seiten
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Originaltitel: We’ll always have Summer
ISBN: 978-3-423-08683-7
Ersterscheinung: 12.06.2025

Inhalt:
Zwei Jahre sind vergangen, seit Belly sich für Jeremiah entschieden hat – sie sind ein Paar, studieren gemeinsam in Boston und planen plötzlich ihre Hochzeit. Während sie in die Vorbereitungen eintaucht, beginnen jedoch Zweifel zu wachsen: Ihre Eltern sind alles andere als begeistert, alte Konflikte brechen auf, und Belly fühlt sich zunehmend unsicher. Als sie wieder an den Ort ihrer schönsten Sommer zurückkehrt, begegnet sie Conrad – und mit ihm ihrer Vergangenheit und den Gefühlen, die sie nie ganz losgelassen haben.

Meinung:
Ich muss ehrlich sagen, ich habe diesen letzten Band mit gemischten Gefühlen gelesen. Die Trilogie hat mich über drei Bücher hinweg durch viele Emotionen begleitet – durch Jugendschwärmerei, erste Liebe, Verlust, Reifeprozesse – und ich war sehr gespannt, wie Jenny Han die Geschichte zu Ende bringt. Und auch wenn ich viel Kritisches anmerken muss, ist mir klar, dieses Buch hat mich berührt, weil ich mit diesen Figuren gewachsen bin. Was mir gefallen hat, ist der Perspektivwechsel. Die Kapitel aus Conrads Sicht geben der Geschichte mehr Tiefe, auch wenn ich mir gewünscht hätte, noch stärker in seine Gedankenwelt eintauchen zu dürfen. Endlich verstehen wir mehr von seinem inneren Konflikt – der Kontrast zu dem impulsiven, oft unreifen Jeremiah wird dadurch noch spürbarer. Und genau hier beginnt mein Dilemma mit diesem Band: Ich konnte Bellys Entscheidung für Jeremiah nie ganz nachvollziehen – und spätestens mit der völlig überhasteten Verlobung wird das emotionale Ungleichgewicht der Beziehung deutlich. Dass sich Belly von der Vorstellung, „alles müsse perfekt sein“, treiben lässt, obwohl sie spürt, dass es das nicht ist, ist einerseits authentisch (sie ist jung, überfordert, sucht Halt), andererseits auch frustrierend. Die Hochzeitsvorbereitungen nehmen einen zu großen Raum ein und drängen die eigentliche Entwicklung der Figuren manchmal zu sehr in den Hintergrund. Auch die Konfrontation mit ihren Eltern hätte mehr emotionale Tiefe verdient. Stattdessen bleibt vieles an der Oberfläche oder wird in Dialogen abgehandelt, die sich nicht wirklich entfalten. Dennoch bleibt Jenny Hans Schreibstil ein großer Pluspunkt. Sie schafft es mit wenigen Worten, Atmosphäre zu erzeugen – das Strandhaus, das Licht, die Erinnerungen an vergangene Sommer. Diese Stimmung ist es, die mich durchgetragen hat, auch wenn ich die Handlung streckenweise als zu vorhersehbar und konstruiert empfand. Ich hätte mir mehr innere Konflikte, weniger äußeres Drama gewünscht. Aber vielleicht ist genau das Teil des Konzepts: Dass man mit 19 manchmal keine großen Antworten braucht, sondern das Chaos zulassen muss, um herauszufinden, wer man wirklich ist.

Fazit:
„Der Sommer, der nur uns gehörte“ von Jenny Han ist ein emotionaler Abschluss der „The Summer I Turned Pretty“-Trilogie, der vor allem durch seine stimmungsvolle Sprache und die vertrauten Charaktere lebt. Die Geschichte rund um Belly, Conrad und Jeremiah bleibt bewegend, auch wenn das letzte Kapitel ihrer Dreiecksgeschichte nicht ganz die Tiefe erreicht, die man sich gewünscht hätte. Trotz mancher erzählerischer Schwächen ist der Roman ein schöner Schlusspunkt einer Jugendbuchreihe, die Herz und Sommergefühl vereint. Von mir gibt es für den Abschluss der Trilogie 4 von 5 Sternchen und eine absolute Leseempfehlung.

{Rezension} Write your own story
Mein Weg vom Bolzplatz in die Weltspitze

Write your own story
Mein Weg vom Bolzplatz in die Weltspitze
von Giulia Gwinn und Julien Wolff

Mosaik
Paperback
272 Seiten
ISBN: 978-3-44239-436-4
Ersterscheinung: 21.05.2025

Inhalt:
Bereits als kleines Kind wusste Giulia Gwinn, was sie wollte – Fußball spielen, am liebsten mit den Jungs. Schritt für Schritt kämpfte sie sich nach oben, wurde Nationalspielerin, feierte große Erfolge mit dem FC Bayern München und dem DFB-Team – auch zwei Kreuzbandrisse warfen sie nicht dauerhaft aus der Bahn. Ihre Geschichte erzählt von Mut, Ausdauer und der festen Überzeugung, dass es sich lohnt, für seine Ziele zu kämpfen – ganz egal, was andere sagen.

Meinung:
Wenn ein aktiver Fußballstar seine Lebensgeschichte aufschreibt – oder mitschreiben lässt –, sind Erwartungen meist hoch: Emotionen, persönliche Einblicke, große Momente, aber auch ehrliche Rückblicke auf harte Zeiten. All das bietet „Write your own story“ grundsätzlich auch, allerdings in einer sprachlich sehr einfachen, fast schon kindlich wirkenden Form. Der Schreibstil ist geprägt von kurzen, knappen Sätzen, was das Lesen für mich persönlich eher zäh gemacht hat. Es erinnerte mich stark an Julien Wolffs frühere Projekte mit Thomas Müller, bei denen das Buchformat bewusst auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten war – hier hätte ich mir stilistisch deutlich mehr Tiefe und Dynamik gewünscht. Dennoch gibt es auch berührende, nachvollziehbare Passagen. Besonders in Giulias Schilderungen ihrer Anfänge habe ich mich selbst wiedergefunden: Ich habe bereits mit fünf Jahren in einer Jungsmannschaft gespielt und bekam sehr oft eine eigene Umkleide – weil einige Eltern kein Mädchen in der Kabine ihrer Söhne haben wollten. Man bedenke, dass wir im Bambini-Alter bereits in Trainingskleidung zum Sportplatz kamen und eigentlich nur noch die Fußballschuhe angezogen werden mussten. Da geht einem tatsächlich der Teamgeist verloren, bevor er sich entwickeln kann. Insofern ist es absolut nachvollziehbar, wenn Giulia über diese Zeit schreibt. Allerdings fand ich es persönlich etwas ermüdend, wie oft sie betont, als „das Mädchen“ abgestempelt worden zu sein. Ja, es war schwer. Ja, das war verletzend. Aber sie hat sich durchgesetzt – mit Bravour sogar – und das hätte für mich mehr im Fokus stehen dürfen als das ständige Wiederholen des Labels, das ihr einst verpasst wurde. Was positiv heraussticht, sind die wiederkehrenden Botschaften: sich selbst treu bleiben, Werte leben, an sich glauben. Diese Aspekte sind sicher besonders für jüngere Lesende inspirierend. Auch die Einblicke in ihr Privatleben, ihr Studium und ihre Interessen außerhalb des Platzes machen die Person Giulia Gwinn greifbarer und nahbar. Doch trotz dieser gelungenen Elemente bleibt der Eindruck eines Buchs zurück, das mehr verspricht, als es inhaltlich wirklich einlöst.

Fazit:
„Write your own story: Mein Weg vom Bolzplatz in die Weltspitze“ von Giulia Gwinn und Julien Wolff ist ein ehrliches und motivierendes Buch über den Weg an die Spitze des Frauenfußballs. Wer Giulia Gwinn bewundert oder sich für ihren Werdegang interessiert, wird hier viele persönliche Einblicke und inspirierende Gedanken finden. Sprachlich bleibt das Buch jedoch sehr einfach, was es besonders für ein jüngeres Publikum geeignet macht. Insgesamt ein lesenswertes Werk mit kleinen Schwächen, weshalb ich 3,5 von 5 Sternchen vergebe.

{Rezension} Foul Play
(Bd. 2 der „Hopeville Dragons“-Dilogie)

Foul Play
(Bd. 2 der „Hopeville Dragons“-Dilogie)
von Laura Willud

Kyss (Rowohlt Taschenbuch Verlag)
Paperback
Romance
432 Seiten
Altersempfehlung: ab 16 Jahren
ISBN: 978-3-499-01703-2
Ersterscheinung: 17.06.2025

Inhalt:
Ein einziger Kuss mit Joshua Reed hat gereicht, um Loris Herz in Aufruhr zu versetzen. Zwei Jahre lang hat sie ihn konsequent ignoriert, bis ausgerechnet ein gemeinsames Projekt sie wieder zusammenbringt. Joshua wiederum will nur eines: Profisportler werden. Ein Sporttag für Kinder passt da ebenso wenig in seinen Plan wie die Anziehung zu Lori, der besten Freundin seiner Schwester. Doch je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto schwieriger wird es, alten Regeln treu zu bleiben und den Gefühlen aus dem Weg zu gehen.

Meinung:
Schon nach wenigen Seiten hat mich Foul Play ganz anders abgeholt, als ich es vom ersten Band gewohnt war. Die Geschichte fühlt sich reifer an – nicht, weil sie schwerer oder dramatischer wäre, sondern weil sie tiefer geht. Während ich bei Mismatch stellenweise das Gefühl hatte, dass Charakterentwicklung und Handlung nebeneinanderherlaufen, greifen hier Emotion und Handlung deutlich besser ineinander. Lori und Joshua sind zwei Menschen, die sich nicht verlieren, sondern sich selbst suchen – und dabei in der Nähe des anderen Dinge über sich erfahren, die sie vorher nicht zulassen konnten oder wollten. Was mich besonders berührt hat, war, wie leise und gleichzeitig eindringlich Lori mit ihren Gefühlen umgeht. Ihr innerer Kampf ist keine große Show, sondern zeigt sich in Momenten des Zweifels, in kurzen Gedankengängen, in Versuchen, sich selbst zu ordnen. Dass sie Listen schreibt, um wieder klarzukommen, wirkt fast naiv – aber genau das macht es so ehrlich. Diese Art, sich selbst zu reflektieren, ohne dabei melodramatisch zu werden, hat mich sehr beeindruckt. Ich hatte das Gefühl, wirklich in ihrem Kopf zu sein – nicht nur als Beobachterin, sondern als Mitfühlende. Joshua wiederum überrascht. Anfangs wirkt er wie der klassische disziplinierte Athlet: hart an sich arbeitend, durchstrukturiert, keine Ablenkung zulassend. Aber je weiter die Geschichte fortschreitet, desto mehr wird klar, dass hinter dieser Fassade jemand steckt, der Angst hat, falsche Entscheidungen zu treffen. Jemand, der nicht scheitern will – weder sportlich noch emotional. Und genau darin liegt seine Verletzlichkeit. Es gibt eine schöne Szene, in der deutlich wird, dass Joshua gar nicht so unnahbar ist, wie er gerne tut – dass seine Art, Menschen auf Abstand zu halten, auch Selbstschutz ist. Diese Vielschichtigkeit hat ihn mir sehr nah gebracht. Was ich besonders schön fand: Die Geschichte hetzt nicht. Sie nimmt sich Zeit, lässt Zwischenräume in den Dialogen entstehen und gibt Gedanken Raum zur Entfaltung. Das ist kein überhitzter Schlagabtausch, sondern eher ein emotionales Tasten, vorsichtig und trotzdem intensiv. Auch der Schreibstil passt perfekt dazu, denn dieser ist klar, aber mit Gefühl. Immer wieder tauchen kurze, fast poetische Formulierungen auf, die etwas in einem anstoßen, ohne aufdringlich zu sein. Was mich ebenfalls sehr angesprochen hat, war die Art, wie der Sport hier eingebettet wurde. Basketball ist nicht nur Kulisse, sondern hat Substanz. Es geht nicht nur um Training und Spiele, sondern auch um das, was Sport mit einem Menschen macht: wie er Ziele formt, Selbstbilder schafft, Erwartungen verstärkt. Gerade durch Joshuas Haltung dazu, dieses permanente Streben, bekommt man ein gutes Gefühl für den Druck, unter dem jemand stehen kann, der versucht, beides zu schaffen: persönliche Nähe und berufliche Höchstleistung. Im Vergleich zum ersten Band wirkt Foul Play klarer, fokussierter, erwachsener – ohne dabei an Leichtigkeit zu verlieren. Wo Mismatch manchmal auf der Stelle trat, hat diese Geschichte eine Richtung, eine innere Dynamik, die mich ganz natürlich durch die Seiten getragen hat.

Fazit:
„Foul Play“ von Laura Willud ist eine gelungene, emotional aufgeladene Sports-Romance, die viel mehr ist als nur knisternde Spannung zwischen zwei gegensätzlichen Charakteren. Der Fokus auf Basketball als integraler Bestandteil der Handlung war für mich ein echtes Highlight und hat dem Buch eine besondere Tiefe gegeben. Lori und Joshua sind authentische Figuren, deren innerer Zwiespalt nachvollziehbar und berührend erzählt wird. Ich vergebe 4,5 von 5 Sternchen – für eine gefühlvolle, sportlich-dynamische Lovestory, die das Herz genauso anspricht wie den Kopf.

Lieblingszitate:
„Du hast kein Recht dazu, so etwas zu tun. Du hast kein Recht dazu, mein Liebesleben zu sabotieren. Genauso wenig, wie du das Recht hattest, mein verdammtes Herz zu berühren und es damit für immer zu verfluchen.“ (S. 109 f.)
und
„Was zusammengehört, findet einen Weg. Egal, wie viele Extrameilen es manchmal sind, und egal, wie viele Felsen es zu überwinden gibt. Man darf nur nicht aufgeben, weil die Strecke einem gerade so holprig und schwierig erscheint.“ (S. 349)

Interview mit Vanessa Walder

Manche Interviews sind mehr als nur ein Gespräch über Bücher – sie sind Begegnungen, die Spuren hinterlassen. 2019 durfte ich Vanessa Walder zum ersten Mal interviewen. Was damals mit einem neugierigen Austausch begann, ist inzwischen eine echte Freundschaft geworden. Vanessa ist für mich nicht nur eine beeindruckende Autorin mit einem feinen Gespür für Sprache, Spannung und Humor, sondern auch eine Mentorin, die mich immer wieder mit ihrer Offenheit, Direktheit und Kreativität inspiriert.
In unserem aktuellen Gespräch dreht sich alles um ihr neues Buch „Nightmore – Das gruseligste Internat der Welt: Plötzlich Werwolf“ – den ersten Band einer vielversprechenden Reihe, in der es humorvoll, düster und herrlich anders zugeht. Viel Spaß beim Lesen dieses Interviews mit einer Autorin, die genauso viel Herzblut wie Biss in ihre Geschichten steckt!

Leo: Die Charaktere sind wirklich außergewöhnlich – von der Selkie Isla bis zum Zombie Edgar. Gibt es eine Figur im Buch, die dir beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen ist? Und wenn ja, warum?

Vanessa Walder: Sinista! Ich hab lange gebraucht, bis ich gefunden habe, wer die weibliche Hauptrolle spielen soll. Erst dachte ich, vielleicht eine Vampirin, aber das hat nicht so wirklich gepasst. Und dann hatte ich eines Tages ihre kratzige, raue Stimme im Ohr und da war sie. Ich liebe ihre Art die Welt zu sehen und wäre gerne noch viel mehr wie sie. Super pragmatisch, grausam ehrlich, mega loyal und ohne falsche Scham.

Leo: Wie viel Arbeit steckt in der Planung einer Welt wie Nightmore, in der alles ein bisschen „anders“ ist?

Vanessa Walder: In diesem Fall sehr, sehr viel. Für dieses Buch hat mir der Loewe Verlag an allen Ecken und Enden Ausnahmen gewährt. Und immer, wenn du bestehende Regeln brechen willst, musst du das gut begründen und argumentieren können. Ein Grusel-Erstleser, über 100 Seiten, schwarzweiße Innenillus, ein englischer Titel, englische Namen und Begriffe im Text, schwarzer Humor. Und dann ist da immer die feine Balance zwischen hochwertigem Aussehen und schöner Ausstattung und einem Preis, den man sich auch mit einem kleinen Taschengeld leisten kann. Inhaltlich ging es vor allem darum, eine zeitlose Welt zu schaffen. Ich wollte nicht in der Vergangenheit erzählen, aber ich wollte auch keine Handys und kein Internet im Buch. Irgendwann ist mir klar geworden, dass es in Nightmore einfach keinen Strom gibt. Von der ersten Idee bis zum fertigen Buch sind ziemlich genau drei Jahre vergangen. In der Zeit war ich fast täglich in irgendeiner Form mit Nightmore beschäftigt. Besprechungen, Pitches, Schreiben, Lektorat, Illustrationen, Cover, Schriftarten, Präsentation usw. Aber am Ende ist es für mich wirklich rundum geglückt. Ich könnte Tausende Abenteuer aus Nightmore erzählen. Das Schöne ist: Der Ort ändert sich nicht, die Charaktere sind unsterblich: Das perfekte Setting für eine Serie!

Leo: Warum hast du die Schule ausgerechnet in die Hochmoore Schottlands verlegt – und nicht in ein düsteres Schloss in Transsilvanien oder einen Vulkan?

Vanessa Walder: Die Frage kannst du natürlich immer stellen: Warum da und nicht woanders? Warum der und nicht die? Stephen King hat mal gesagt „Schreiben heißt Entscheidungen treffen“. Für mich war der Ausgangspunkt der Gedanke, dass ich ein Internat erzählen will. Und die sind in Großbitannien einfach üblich, während sie bei uns selten sind. Dann kommt dazu, dass ich Schottland liebe. Ich war selbst als Kind und Jugendliche länger dort und kenne mich deshalb ein bisschen aus. Für mich gibt es keine mystischere, geheimnisvollere Landschaft. Wenn es irgendwo echte Feen und Fabelwesen gibt, dann da. Also habe ich angefangen zu recherchieren und ganz viele wunderbare Bücher zu Schottischen Fabeln und Mythen und Legenden gelesen. Kaum jemand weiß zum Beispiel, was es UNTER Eddinburgh zu entdecken gibt. Es gibt auch mehrere tolle Karten von Schottland mit den verschiedenen Wesen und wo sie zu finden sind. Ich habe in Band 1 erstmal nur Nessie, den Beithir und die Selkies erzählt. Aber es werden noch ganz viele andere schottische Wesen auftauchen. Da gibt es so viele und alle sind faszinierend.

Leo: Wenn du einen Tag als Schülerin an der Nightmore Academy verbringen dürftest: An welchem Unterricht würdest du teilnehmen wollen – und bei welchem Lehrer?

Vanessa Walder: Nicht am Folterunterricht, vielen Dank! Ich würde gerne in einem Ruderboot auf den Wellen des Sees schaukeln und dem Ungeheuer von Loch Ness zuhören. Aber in Band 2 taucht auch der Geist von Mary, Queen of Scots auf, die „Kompotte & Komplotte“ unterrichtet – Kochen und Staatskunde. Das würde mich auch sehr interessieren.

Leo: Was ist deine persönliche Lieblings-Ecke auf dem Schulgelände? (z. B. das Blutballfeld, der Friedhof, der Burggraben mit Krokodilen…)

Vanessa Walder: Das Seeufer. Im See wohnt ein krakenartiges Monster, das bei Sonnenuntergang und Sonnenaufgang tanzt und seine Tentakel dabei aus dem Wasser streckt. Das würde ich gerne mal sehen. Wow. Und schon freue ich mich auf Band 3!

Leo: Wie würdest du die Freundschaft zwischen Fynn und Sinista in einem Satz beschreiben?

Vanessa Walder: Fynn bringt Sinistas fürsorgliche Seite zum Vorschein und Sinista kitzelt Fynns Mut an die Oberfläche – eine Freundschaft, die in beiden das Beste hervorruft, ohne einen zu verbiegen.

Leo: Welche besonderen Herausforderungen bringt es mit sich, für Leseanfänger zu schreiben?

Vanessa Walder: Es gibt tausend Regeln für Erstleser. Die Satzlänge, die Wortlänge, die Anzahl der Zeilen und Sätze pro Seite und der Anschläge pro Kapitel. Keine Fremdwörter, keine komplizierten grammatikalischen Konstruktionen. Du solltest nicht voraussetzen, dass Erstleser wissen, zu wem eine direkte Rede gehört, auch wenn nur zwei Leute miteinander reden und der andere gerade was gesagt hat. Wir haben bei diesem Buch viele dieser Regeln verbogen. Ich habe mir oft gedacht, dass ich gerne mehr Platz hätte, mehr Athmosphäre schreiben würde, mehr beschreiben. Aber am Ende liegt genau darin die Herausforderung: mit wenigen Buchstaben eine Welt und Charaktere zu zeichnen, die im Leser leben. Ich weiß dieses ökonomische Schreiben immer mehr zu schätzen, wo du dich bei jeder Zeile fragst, ob sie nötig ist.

Leo: Was liest du selbst gerne, wenn du mal nicht schreibst – und liest du auch Kinderbücher?

Vanessa Walder: Ja, ich lese auch Kinderbücher. Ich lese sehr viel, aber kaum privat. Also selten so, dass ich einfach nach Geschmack entscheide, was ich gerne lesen möchte. Ich lese, um Stoffe für Filme oder Serien zu finden oder um für ein neues Projekt zu recherchieren. Im Moment bin ich ganz tief im Thema Hirsche und Wölfe im Yellowstone National Park und Trophische Kaskade. Die Recherche nähert sich dem Ende, dann fange ich an, den 5. Band von „Das geheime Leben der Tiere“ zu schreiben. Davor waren es Dutzende Bücher über Pflanzen und ihre Sinneswahrnehmungen. Kräuter und wie man sie verwendet. Die Heilkräfte verschiedener Inhaltsstoffe. Das war für den 3. Band von „Flora Magica“. Das klingt im ersten Moment seltsam, dass jemand nicht nach Geschmack entscheidet, was er liest, ich weiß. Aber auf die Art sind so viele Themen in mein Leben gekommen, mit denen ich mich sonst nie beschäftigt hätte.

Leo: Nightmore ist perfekt für Kinder, die sich ein bisschen gruseln und viel lachen wollen. Was wünschst du dir, dass junge Leserinnen und Leser aus der Geschichte mitnehmen – außer Werwolfwissen und Blutballregeln?

Vanessa Walder: Da sagen Kinderbuchautoren dann traditionell, dass es um innere Werte geht und Zusammenhalt und das Hinterfragen von Vorurteilen – das stimmt auch alles. Aber mit dieser Serie will ich nur eines: Lesespaß erzeugen! Ob und was ein Leser davon mitnimmt, ist für mich zweitranging. Ich will, dass Kinder zwischen 7 und 12 dieses Buch lesen und sich amüsieren und lachen und gespannt sind und es am besten in einem Rutsch durchlesen. Das ist keine Geschichte, die man erstmal verdauen muss, die einem im Magen liegt. Das ist ein Snack. Und danach soll der Hunger größer sein als vorher. Der Lesehunger. Dann sollen sie sich gleich das nächste Buch schnappen. Egal, was das ist. Was bleiben soll, ist das Bauchgefühl: Lesen = Spaß. Das ist in den letzten Jahren leider verloren gegangen. Immer weniger Kinder können oder wollen lesen. Viele Erstlesebücher richten sich aber nur an kleine Kinder und erzählen dann sehr zahme, brave Geschichten. Was, wenn der „Erstleser“ zehn ist? Dann muss ihn die Geschichte anders packen. Die Kinder wachsen mit TikTok und YouTube auf. Da sagt ihnen das Video in den ersten 2 Sekunden, worum es geht. Alles hängt an den Hooks. Daran habe ich mich bei diesem Buch orientiert. Es erzählt nicht erst, wie traurig Fynn ist und dass er ganz neu und verloren an eine Schule kommt, um dann im 2. Kapitel mit der Action anzufangen. Auf der 2. Seite klettern wir mit Fynn aus dem Fenster und hängen über dem Burggraben mit den Krokodilen. Ich hoffe, dass Kinder dieses Buch verschlingen – und am Ende mehr Bücher wollen. Die Jahre der Bücherwürmer und Leseratten und Büchereulen sind vorbei. Vielleicht brauchen wir jetzt Bücherkrokodile und Lesemonster?

Leo: Wenn du selbst ein Wesen aus der Nightmore-Welt sein müsstest – wärst du lieber Vampir, Werwolf oder Dämonin?

Vanessa Walder: Dämonin. 100%.

Leo: Stell dir vor, du darfst eine Halloweenparty an der Nightmore Academy planen – was steht auf dem Buffet?

Vanessa Walder: Uuuuuh. Was für eine Idee! Für die Gäste auf jeden Fall Augapfelstrudel, Schleimkuchen, Spinnenkekse und Madentorte. Für mich wär’s dann aber doch etwas konservativer, aber ich kann meine Schokoladentaler ja heimlich futtern.

Leo: Hast du als Kind selbst gerne Gruselgeschichten gelesen – und wenn ja, welche war deine liebste?

Vanessa Walder: NEIN! Ich hab nicht gern Grusel gelesen. Ich hab’s trotzdem gemacht und mich dann lange gefürchtet. Ich habe als Kind einen Band der ??? gelesen, in dem ein Phantom vorkam. Als das zum ersten Mal aufgetaucht ist (es hat Klavier gespielt), hatte ich schon genug. Ich hab das Buch ins Eisfach gepackt. Übrigens scheine ich mit der Methode nicht allein gewesen zu sein. Das kam nämlich (Jahre später) in einer Episode der Serie Friends auch vor. Nur war es da Stephen Kings Shining. Das hab ich auch gelesen, als ich etwas älter war. Schrecklich! Ich hatte Albträume. Aber es ist halt leider sehr gut geschrieben. 
Ich wollte auf keinen Fall Grusel in einem Ausmaß erzählen, das Kindern echte Ängste bereitet. Ich will nicht, dass mein Buch im Eisfach landet. Davon hat keiner was. Es gibt ein bisschen Grusel und sehr viele gruselige Gestalten, aber der Grusel wird immer wieder durch Witze gebrochen. Trotzdem weiß ich von einer Testleserin, dass sie auf Seite 1 abgebrochen hat. Da hat Fynn ein „blutiges Steak“ dabei, mit dem er die Krokodile füttern will. Das Wort „blutig“ hat gereicht fürs Eisfach…

Vanessa Walder schafft es wie kaum eine andere, Geschichten mit Tiefgang, Witz und einer Portion Gänsehaut zu erzählen – und das nicht nur auf dem Papier. Auch im echten Leben ist sie jemand, der andere mitreißen, ermutigen und weiterbringen kann.
Ich bin dankbar für dieses erneute Interview, für Vanessas Vertrauen – und vor allem für unseren regelmäßigen Austausch seit unserem ersten Gespräch. Wer „Nightmore“ noch nicht gelesen hat, sollte dringend einen Blick riskieren. Es lohnt sich. Und ich bin mir sicher: Auch Band 2 wird wieder so wild, klug und unheimlich unterhaltsam wie Vanessa selbst.