Ich muss sagen, ich war echt überrascht, als ich im Zuge meiner Recherche gesehen habe, wie viele Bücher die Autorin Sissi Flegel mittlerweile geschrieben hat. Neben den Romanen für erwachsene Leser hat sie auch noch zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Ich selbst kenne Sissi Flegel von den Büchern der Jugendbuchreihe „Freche Mädchen – freche Bücher“. Viele ihrer Kinder- und Jugendbücher wurden in Fremdsprachen übersetzt, u. a. ins Katalanische, Spanische, Türkische, Koreanische, Slowenische, Englische, Tschechische und Polnische. Ihr Jugendroman „Zauber des Labyrinths“ wurde zusätzlich in Brailleschrift (Blindenschrift) veröffentlicht. Das sind bemerkenswerte Fakten, die mich beeindrucken. Ich muss tatsächlich gestehen, dass ich erst seit meiner Arbeit für das Projekt „Literatur in Winnenden“ weiß, dass überhaupt so viele namhafte Persönlichkeiten in Winnenden leb(t)en. Sissi Flegels Bücher sind mir davor schon begegnet, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass wir in der direkten Nachbarschaft wohnen. Wie gerne hätte ich mich daher auf mein Fahrrad gesetzt, um kurz zu ihr zu radeln, um sie persönlich kennenzulernen. Aufgrund von Corona ändern sich aber viele spontane Aktivitäten im Leben, sodass ich froh bin, dass ich dieses Interview zumindest digital mit ihr führen konnte.
Leo: Sie sind in Schwäbisch Hall geboren und leben nun in einem Ortsteil der Stadt Winnenden. Wenn ich gefragt werde, woher ich komme, antworte ich meist „aus der näheren Umgebung von Stuttgart“. Die meisten kennen unser schönes Städtchen erst gar nicht oder aber sie bringen es mit der Negativschlagzeile des Amoklaufs in Verbindung. Haben Sie das damals auch miterlebt? Wohnten Sie im Jahr 2009 schon in Winnenden? Wenn ja, wie haben Sie das Geschehen miterlebt? Ich persönlich kenne es nur durch Erzählungen, da ich damals gerade drei Wochen alt war. Allerdings war mein Vater am Rande involviert, sodass ich schon einen etwas größeren Bezug dazu habe, als andere Kinder meines Jahrgangs. Mein Vater ist dem Täter auf der Flucht begegnet und hatte Glück – es hätte auch anders verlaufen können.
Sissi Flegel: Im Jahr des Amoklaufs habe ich noch nicht hier gewohnt; immer, wenn irgendwo auf der Welt etwas Vergleichbares passiert, muss ich an den armen, irregeleiteten, jungen Menschen denken. Wie muss er gelitten haben, bevor er zu einem solch verzweifelten Schritt fähig war? Und dann natürlich die Opfer! Als Lehrerin, die ich mal war, denke ich natürlich zuallererst an die Schüler und die Kollegen. Wie hätte ich gehandelt? Wäre ich zum Handeln überhaupt in der Lage gewesen? Ich bin mir nicht sicher… Dein Vater hatte wirklich einen Schutzengel!
Leo: Als Buchbloggerin interessiert es mich natürlich, wie Sie zum Schreiben gekommen sind.
Sissi Flegel: Es war und ist etwas, was im Inneren steckt und herauskommen will – man muss sich hinsetzen, denn sonst verschwindet die Idee irgendwann.
Leo: Sie haben aber recht spät als Autorin angefangen, oder?
Sissi Flegel: Eigentlich hätte ich gerne Germanistik studiert, allerdings brauchte man damals noch das Große Latinum. Ich hatte nicht mal das Kleine, weshalb ich den leichteren Weg ging und an der PH Deutsch, Englisch und Geschichte studierte, denn ich wollte an der HS unterrichten. Tatsächlich wurde ich sofort „Sie sind eine Frau!“ Klassenlehrerin einer 1. Klasse mit Fachunterricht in Klasse 8 und 9. Nach wenigen Jahren war das keine Herausforderung mehr, weshalb ich zu schreiben begann: Klar, Kinder- und Jugendbücher, ich war ja noch jung und fast nur mit Kindern zusammen. Nach wenigen Jahren wurde der Thienemann Verlag auf mich aufmerksam. Der Verleger, Hansjörg Weitbrecht, nahm mich unter seine Fittiche, und Junge – was habe ich von ihm gelernt! Es waren wirkliche Lehrjahre im Sinne von: „Was ist Schreiben? Was macht ein gutes Buch aus?“
Leo: Ich habe mir Ihre Bibliographie etwas näher angeschaut und war erstaunt. Da findet man eigentlich für jede Altersgruppe etwas. Wie unterscheidet sich das Schreiben der jeweiligen Bücher? Schreiben Sie lieber Kinder- und Jugendbücher oder doch lieber Romane für erwachsene Leser?
Sissi Flegel: Ich schrieb und unterrichtete, bis ich etwa 50 Jahre plus alt war. Dann wurde der Thienemann Verlag verkauft, ich sprach die Sprache der Kinder nicht mehr, mich interessierten auch andere Themen – es lag nahe, dass ich dann für Erwachsene schrieb und noch schreibe. Das ist keine Frage des Vergnügens, ich denke, es hängt mit dem Alter und anderen Erkenntnissen zusammen.
Leo: Welches Ihrer eigenen Bücher ist Ihr liebstes Buch? Mögen Sie eins mehr als alle anderen?
Sissi Flegel: Ich liebe besonders „Frei wie ein Vogel“ und „Die Keltenfürstin“. Aber alle anderen Bücher sind auch ok!
Leo: Gibt es auch ein Buch von Ihnen, das Sie nicht so sehr mögen und im Nachhinein vielleicht doch lieber nicht veröffentlicht hätten?
Sissi Flegel: Nein, wirklich nicht.
Leo: Sie schreiben sehr viel. Wie lange benötigen Sie im Schnitt für ein Buchprojekt? Arbeiten Sie mehrgleisig an verschiedenen Büchern?
Sissi Flegel: Ich arbeite immer nur an einem Manuskript, das dauert etwa 3 Monate. Nur für den Keltenroman habe ich bedeutend länger gebraucht, weil ich viel dafür recherchiert habe.
Leo: Wie kommen Sie auf die zahlreichen Ideen? Gibt es Vorgaben von Verlagen? Oder schreiben Sie einfach, was Ihnen in den Sinn kommt? Was machen Sie, um Ideen zu sammeln?
Sissi Flegel: Ich sammle keine Ideen, die kommen ganz von alleine zu mir. Aber es kommt vor, dass ein Verleger anfragt, ob man mit dieser oder jener Idee etwas anfangen kann.
Leo: Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Sissi Flegel: Gerade lese ich den Krimi „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ von Henrik Siebold.
Leo: Welches Buch würden Sie als Ihr Lieblingsbuch bezeichnen? Was lesen Sie gerne?
Sissi Flegel: Ich bin ein Allesleser und habe zu viele Bücher, die mir etwas bedeuten, sodass ich sie einfach nicht alle aufführen kann.
Leo: Welches Buch sollte Ihrer Meinung nach jedes Kind gelesen haben?
Sissi Flegel: Keine Ahnung! Vielleicht „Jim Knopf“?
Leo: Was macht ein gutes Kinderbuch für Sie aus?
Sissi Flegel: Dazu möchte ich Michael Ende zitieren, der mal (sinngemäß) gesagt haben soll: „Ein Kinderbuch muss so gut geschrieben sein wie eines für Erwachsene, nur eben noch besser.“ Er hat recht, denn Kinder spüren sofort, wenn jemand nicht hinter dem steht, was er schreibt.
Leo: Welchen ultimativen Geheimtipp haben Sie für all diejenigen, die genauso wie Sie Buchautor oder Buchautorin werden möchten?
Sissi Flegel: Liebe Leonie, wenn in deinem Inneren keine Geschichte steckt, die unbedingt herauskommen will, wirst du vermutlich nichts richtig Gutes zustande bringen – es sei denn, du versuchst dich als Ghostwriter. Schreiben funktioniert meiner Erfahrung nach nicht beliebig und nach dem Motto: Gehe ich shoppen oder doch lieber zum Schwimmen? Oder vielleicht esse ich einfach nur ein Eis… Andererseits: Wenn du an Charles Dickens denkst, so hat der jeden Tag eine Fortsetzung hingekriegt. Fazit: Es gibt keinen ultimativen Geheimtipp, nur eben den: Wer schreibt, braucht eine Menge Disziplin und Sitzfleisch, schließlich schreibt sich keine Geschichte von allein.
Ich freue mich tatsächlich jetzt schon auf unser erstes analoges Treffen, denn wir haben festgestellt, dass wir beide eine ganz große Leidenschaft teilen: das Reisen bedeutet uns beiden sehr viel und wir vermissen es sehr. Hier gibt es bestimmt noch einige interessante Geschichten, die wir uns erzählen können.