Wie mein Lehrer Martin Baier zu sagen pflegt, ist „Winnenden voller Geschichten, die noch nicht geschrieben sind.“ Das stimmt. Den meisten Winnendern ist allerdings gar nicht bewusst, dass hier auch bedeutende Autoren und Autorinnen zumindest zeitweise gelebt haben. Das zu erforschen ist eine (literatur-)wissenschaftliche Aufgabe. Ich bin überaus dankbar, ein Teil dieses zeit- und arbeitsintensiven Literaturprojekts zu sein, denn sonst hätte ich Werner Holzwarth wohl kaum kennengelernt. Sein bekanntestes Kinderbuch „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ kennt fast jeder, aber dass er gebürtig aus Winnenden stammt, war auch für mich eine überraschende Erkenntnis.
Leo: Herr Holzwarth, Sie sind ja hier in Winnenden geboren – wie sieht denn Ihr Verhältnis zu Ihrer Heimatstadt aus? Gibt es irgendetwas, das Sie sofort mit Winnenden in Verbindung bringen?
Werner Holzwarth: Ich komme nicht mehr so oft, aber gerne nach Winnenden. Vor allem natürlich, um meine Verwandtschaft zu besuchen. Spontan mit Winnenden in Verbindung bringe ich – wie wahrscheinlich jeder – das psychiatrische Landeskrankenhaus (zu meiner Jugendzeit Heilanstalt genannt). Und den Amoklauf. Früher musste man immer erklären, wo Winnenden liegt, seit einigen Jahren erübrigt sich das leider.
Leo: Haben Sie vielleicht besondere Erinnerungen an Ihre Zeit in Winnenden?
Werner Holzwarth: Ich erinnere mich an relativ langweilige Sonntage. Da war in Winnenden absolut nix los, im Fernsehen gab es zwei Sender und sonntags nur auf Radio Luxemburg einigermaßen geeignete Musik für Jugendliche. Ein kleines Gegengewicht waren später viele Partys bei mir zuhause und etwas wildere im Steinbruch auf dem Haselstein. Schön waren auch die Skatabende im Träuble. Und dann erinnere ich mich natürlich noch an meine erste große Liebe. Aber die kam aus Backnang.
Leo: Sie kommen ab und zu nach Winnenden – hat sich in der Zwischenzeit viel verändert?
Werner Holzwarth: Winnenden ist wesentlich attraktiver und wesentlich flanierfreudiger geworden. Vor allem im Bereich um die Marktstraße herum und natürlich auch die Marktstraße selbst.
Leo: Können Sie sich vielleicht noch an Ihre Schulzeit erinnern? Wie war das früher? Welche Erfahrungen haben Sie in Winnenden mit der Schule gemacht? Es hat sich in der Zwischenzeit ja schon einiges verändert…
Werner Holzwarth: Gott sei Dank hat sich einiges geändert. Ich kann mich noch gut an einen Rektor erinnern, der es geliebt hat, die Schüler an den Schläfenhaaren zu ziehen. Und an einen Turnlehrer, der richtiggehend schäumte, wenn Schüler wie ich zu langsam rannten. Dann gab es natürlich auch Lehrer, mit denen ich mich sehr gut verstand. Deshalb wurde z.B. auch Mathe zu meinem Lieblingsfach. Meine Schulzeit war insgesamt nicht besonders erfreulich, weshalb ich mich auch weigerte, nach der Mittleren Reife weiterzumachen. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich zu meinem Vater sagte: „Ich mach‘ alles, was du mir vorschlägst, wenn ich nur nicht mehr in die Schule muss.“ Daraus resultierte dann eine Kaufmannslehre beim Kärcher.
Leo: Sie haben, als Sie 18 waren, ihre Geburtsstadt Winnenden verlassen. Was hat Sie wegbewegt?
Werner Holzwarth: Das war für mich damals die einzige Möglichkeit, nicht zum Wehrdienst eingezogen zu werden.
Leo: Ich habe mich ein wenig auf Ihrem Blog „Die schönsten Kinderbücher“ umgesehen, auf dem einige bekannte Autoren wie z.B. Paul Maar über ihre Lieblingsbücher schreiben. Auch von Ihnen sind einige Buchempfehlungen dabei. Seit Juli 2014 gibt es leider keine Einträge mehr. Aber wenn Sie dennoch einmal wieder einen Autoren/eine Autorin um eine Buchempfehlung bitten würden, wer wäre das?
Werner Holzwarth: Helme Heine oder Rotraut Susanne Berner.
Leo: Welches Buch ist Ihr Lieblingsbuch? Und welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Werner Holzwarth: Mein Lieblingsbuch ist „Tante Julia und der Kunstschreiber“ von Vargas Llosa, als letztes gelesen habe ich „1913“ von Florian Illies und derzeit lese ich „Das zweite Leben des Herrn Roos“ von Hakan Nesser.
Leo: Ihr erstes Buch „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ ist vermutlich auch Ihr bekanntestes, denn es wurde weltweit über 4 Millionen Mal aufgelegt und in 37 verschiedene Sprachen übersetzt. Können Sie mir vielleicht das Gefühl beschreiben, wenn man weiß, dass so viele Menschen das lesen wollen, was man selbst geschrieben hat?
Werner Holzwarth: Das ist kein besonderes Gefühl. Das Buch hat sich irgendwie selbständig gemacht. Das einzige, was ich immer noch bemerkenswert finde ist, dass es anscheinend überall auf der Welt Maulwürfe gibt.
Leo: Gab es deswegen aber auch Nachteile, weil alle forderten, dass Ihre nächsten Bücher genauso erfolgreich werden sollten? Wie sind Sie damit umgegangen?
Werner Holzwarth: Ich hatte kein Problem damit, da ich das Buch ja nur so nebenbei für meinen Sohn Julian geschrieben hatte. Ich war damals Creative Director in einer Werbeagentur und hatte nicht das Ziel, Kinderbuchautor zu werden.
Leo: Was macht ein gutes Kinderbuch für Sie aus?
Werner Holzwarth: Es muss kindgerecht spannend, thematisch interessant und außergewöhnlich illustriert sein. Und es geht deshalb – um einen bekannten Illustrator zu zitieren – auch nicht unter in einem Meer voll rosaroter Scheiße.
Leo: Wie sind Sie eigentlich zum Schreiben gekommen?
Werner Holzwarth: Mein frühestes „Werk“, wenn ich mich recht erinnere, war ein Linolschnitt, den ich als Postkarte der Verwandtschaft schickte. Der Text: „Kaum hängt’s Lametta auf dem Baum, zieht Nächstenliebe durch den Raum.“ Das Bild dazu war ein ungelenk geschnittener Totenkopf. Ich glaube, ich war damals 12 oder 13.
Leo: Was machen Sie, wenn Sie beim Schreiben mal eine Krise haben?
Werner Holzwarth: Dann quäle ich mich. Ich gehe spazieren und schlafe schlecht ein, grüble lange über Themen nach.
Leo: Welches Ihrer Bücher mögen Sie am meisten bzw. welches liegt Ihnen am meisten am Herzen?
Werner Holzwarth: Mein Jimmy. Das Buch, das ich mit und für meinen Sohn Tim geschrieben habe.
Leo: Welche drei Bücher muss jedes Kind Ihrer Meinung nach gelesen haben?
Werner Holzwarth: Ein Buch von Janosch, weil er toll erzählt, Harry Potter, weil diese Bücher aus Nichtlesern Leser machen können und „Klär mich auf“, weil es ein sensationell gut gemachtes Aufklärungsbuch ist.
Leo: Welches Kinderbuch oder welche Lese-Situation hat in Ihrer eigenen Kindheit einen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachwirkt und warum?
Werner Holzwarth: Sorry, die gibt es nicht.
Leo: Wer darf Ihre neuen Texte und Werke als erstes lesen?
Werner Holzwarth: Mein Sohn Tim, der arme Kerl. Er darf nicht, er muss.
Leo: Sie haben schon sehr viele Bücher herausgebracht. Wie lange benötigen Sie im Schnitt für ein Buchprojekt?
Werner Holzwarth: Total unterschiedlich. Bei Bilderbüchern nimmt die Ideenfindung die meiste Zeit in Anspruch.
Leo: Zum Thema Leseförderung habe ich mal gehört, dass die Zahl der lesenden Kinder wieder steigt. Das finde ich gut. Was müsste man tun, um Kindern (und deren Eltern) das Thema „Lesen“ näherzubringen?
Werner Holzwarth: Die einzige Chance ist, spannende und fesselnde Bücher zu schreiben und zu hoffen, dass die Storys nicht sofort von Netflix aufgegriffen und als Film umgesetzt werden.
Leo: Während der letzten Monate mussten wir alle unser Leben umstellen. Was haben Sie die letzten Monate gemacht? Hat sich für Sie viel geändert?
Werner Holzwarth: Das Gute ist, dass ich zwei neue Bücher geschrieben habe, das Schlechte ist die Isolation.
Leo: Haben Sie Angst, dass Ihnen irgendwann die Ideen für neue Bücher ausgehen?
Werner Holzwarth: Ich habe keine Angst davor, ich fände es nur schade.
Leo: Lesen Sie ab und zu auch mal Ihre eigenen Bücher?
Werner Holzwarth: Das kommt selten vor. Aber kürzlich habe ich das mal gemacht. Da habe ich mir gedacht: „Wirklich gut geschrieben – ob ich das heute noch könnte?!“
Leo: Die Bücher welcher Autoren lesen Sie gerne?
Werner Holzwarth: Ich lese gerne skandinavische und englische Krimis.
Leo: Und wenn Sie sich auf Knopfdruck von drei Autoren weitere Werke besorgen könnten, von welchen Autoren würden Sie gerne neue Bücher lesen wollen?
Werner Holzwarth: Ich würde gerne neue Bücher von Val McDermid, Hakan Nesser und Volker Kutscher lesen.
Leo: Hatten Sie als Kind Vorbilder?
Werner Holzwarth: Als Jugendlicher waren meine Vorbilder Che Guevara und Muhammed Ali.
Leo: Denken Sie, dass Sie als Autor ein Vorbild für viele Ihrer größtenteils sehr kleinen Leser sind?
Werner Holzwarth: Um Gottes Willen, NEIN. Warum sollte ich?
Das möchte ich so nicht stehen lassen, denn für mich ist Werner Holzwarth nicht nur ein sympathischer und humorvoller Mensch, sondern ein ganz großes Autorenvorbild.
Abschließend bedanke ich mich recht herzlich bei Herrn Holzwarth. Aufgrund von Corona mussten wir unser Treffen leider absagen, aber wir hatten auch per Mail einen überaus amüsanten Austausch. Außerdem war es für mich persönlich höchst interessant, etwas über die Literatur aus meiner Heimatstadt Winnenden zu erfahren.